Baugestalt
Beschreibung der Architektur und Baugeschichte
Die ev.-luth. Hauptkirche St. Michaelis ist weit jünger als die vier anderen Hauptkirchen, jedoch ganz in der gleichen Weise entstanden wie jene: als kirchliches und kommunales Zentrum eines neuen Kirchspiels, das durch die planmäßige Erweiterung der Stadt entstand- eben der Neustadt. – Westlich von der schon bestehenden Friedhofskirche St. Michaelis (auf dem Krayenkamp) entstand 1648-61 eine dreischiffige Halle mit (1669 vollendetem) Westturm, wie es für deutsche Pfarrkirchen, zumal protestantische, in dieser Zeit üblich war, wie es aber auch dem Vorbild der alten Hauptkirchen Hamburgs entsprach. Diese Kirche ist 1750 durch Blitzschlag abgebrannt. Auf ihren Grundmauern und mit angefügten Kreuzarmen ist 1751-62 die neue Kirche entstanden, einer der bedeutendsten Kirchenbauten des Protestantismus überhaupt, entworfen von Johann Leonhard Prey unter Mitwirkung von Ernst Georg Sonnin, der nach Preys Tod 1752 die Bauleitung übernahm. Sonnin schuf den kupferverkleideten Turmbau (1777-86) – der durch seine markante Gestalt, seine Höhe von 132m und die Lage auf der Geesthöhe im Westen der Stadt seitdem als `Michel` zum Wahrzeichen der Stadt bekannt geworden ist.
Die Michaeliskirche brannte am 3.7.1906 (ausgelöst durch Reparaturarbeiten) erneut ab. Architekten und Denkmalpfleger in ganz Deutschland traten für einen modernen Neubau ein. Die Mehrheit der Bevölkerung, das Kirchspiel und der Senat entschieden sich für eine Rekonstruktion der vertrauten Gestalt. Sie wurde 1907-12 durch Julius Faulwasser durchgeführt, der kurz zuvor eine Dokumentation der Kirche aufgenommen hatte (zusammen mit Hermann Geißler und Wilhelm Emil Meerwein sowie dem Ingenieur Benno Hennicke). – Bautechnisch wurde modernisiert, was möglich war (Beton für die Hauptgesimse, Dachstuhl und Turm als Stahlkonstruktion).
Das spätbarocke Äußere ist bestimmt durch den Dreiklang von Backstein für die Flächen, Sandstein für die Gliederung und patiniertem Kupfer für die Dächer und den oberen Turmschaft. Das Wandsystem bilden ionische Kolossalpilaster auf hohem Sockel und mit mächtigem Gebälk, über dem das Mansardwalmdach ruht. Die Querhausfronten sind die Hauptfassaden der Kirche mit aufwendigen Säulenportalen. Der Westturm erhebt sich als gemauerter Schaft bis zur Firsthöhe der Kirche. Der kupferverkleidete Aufbau leitet über in den Klassizismus durch die Klärung von Proportionen und gliedernden Pilasterordnungen, zumal mit dem abschließenden, kuppelbekrönenden Rundtempel über dem würfelförmig proportionierten Uhrgeschoß. Das 1907-12 an Stelle eines einfachen Eingangs gestaltete Turmportal wird bekrönt von der Bronzefigur des Erzengels Michael von August Vogel; im Bogenfeld ein Jugendstilfenster mit dem `Segen Gottes über Hamburg`.
Das Innere zeigt im Prinzip die Struktur einer dreischiffigen Halle mit Kreuzarmen und damit einen sehr traditionellen Typus. Dem entspricht die Ausrichtung des Raumes auf den Hauptaltar im Chorhaupt (seitlich vom Chor sind Sakristei und Kirchensaal abgeteilt). – Dieser konservative Raum wird kunstvoll überspielt durch die geschwungene, vor die Pfeiler vortretende und so die Langteile verbindende Empore, die in das architektonische Gefüge einen zentralisierten Einheitsraum hineinstellt, wie es den neuen Anliegen des protestantischen Kirchenbaus im 18.Jh. entspricht.
Rekonstruiert wurde bis 1912 auch die Ausstattung von Cord Michael Möller. Dabei ist der materielle und dekorative Aufwand noch gesteigert worden. Kostbare Materialien (Marmor, Teakholz, Mosaik) verbinden sich mit ornamentalem Reichtum. Auch der Stuck an Wänden und Gewölbeflächen wurde erheblich reicher rekonstruiert, als er gewesen war. – Im Zweiten Weltkrieg wurden die Gewölbe der Kirche stark zerstört. Die Wiederherstellung bis zur Wiedereinweihung 1952 und dann noch bis 1958 (Gerhard Langmaack als Architekt, Günther Grundmann als Denkmalpfleger) reduzierte wieder den Formenreichtum im Deckenstuck; andererseits interpretierte sie den Raum neu durch farbige Abtönungen und Vergoldungen an Emporen und Stuck.
Der Altar hat ein Mosaikbild von Ernst Pfannschmidt (1911). Die Kanzel bekrönt ein Engel von Otto Lessing. Von der barocken Ausstattung blieb die von Putten getragene Marmortaufe übrig sowie ein eiserner `Gotteskasten`(am Westende des Langhauses), das Architektengeschenk Sonnins zur Einweihung 1762. Dieser Opferstock ist, wenn man so will, auch ein Denkmal für die Bedeutung der Kirchspiele in der Stadt: Aus den nach 1527 gebildeten Kollegien von je zwölf Gotteskastenverwaltern der Pfarrkirchen entwickelten sich die politischen Vertretungen der Kirchspiele, die Vorläufer der gewählten Bürgschaft.
Auch in der Michaeliskirche wurde – wie in allen Hamburger Kirchen – bis ans Ende des 18.Jh. bestattet. Dem diente die Unterkirche. Dort sind u.a. Carl Philipp Emmanuel Bach (gest. 1798, Musikdirektor der Hamburger Hauptkirchen) und Ernst Georg Sonnin (gest. 1794) beigesetzt. In der Nachkriegszeit wurde in dieser Gruft eine Notkirche eingerichtet. Heute dient sie der Ausstellung `Michaelitica` zur Geschichte von St. Michaelis. (…)
Der Blick von der 82m hohen Turmplattform (Fahrstuhl) erschließt die verschiedenen Wohn- und Sanierungsgebiete der Neustadt, darüber hinaus die Hafenlandschaft, die Innenstadt, die westlichen und nördlichen Vororte. (…)
Bis 1912 wurde auch die Umgebung der Kirche neu gestaltet. Das war eine der ersten Aufgaben Fritz Schumachers nach seinem Dienstantritt 1909. Gegen die traditionell malerischen Vorstellungen des Ingenieurwesens setzte er ein architektonisches Konzept durch: Terrasse, Pastorenhäuser und Denkmäler sollten die Kirche interpretieren. Seit dem Krieg sind von den Bauten nur die Stützmauern im Süden und Osten davon erhalten. Die Platzfläche und die umgebenden Gebäude wurden 1955-58 durch Gerhard Langmaack neu gestaltet.
Reste von Schumachers Gestaltung sind auch noch zwei Denkmäler: das für den 1912 verstorbenen Bürgermeister Johann Heinrich Burchard , den Kirchspielsherrn während des Wiederaufbaus, am nördlichen Querarm (Bronzetafel mit Potraitbüste – Adolf von Hildebrand) und das Luther-Denkmal an der Turmnordseite (Bronzestandbild – Otto Lessing). Vor allem das letztere kann die Absichten Schumachers vergegenwärtigen: Überlebensgroß vermittelt es zwischen dem Erfahrungshorizont des Betrachters und den riesigen Dimensionen des Turmes. – Vom Sonnin-Denkmal , das am südlichen Pastorat in einer Pfeilerhalle stand, sind noch das Portraitmedaillon (an der Südwestecke der Kirche) und ein Jüngling mit Kirchenmodell erhalten (Oskar Ulmer, in der Gruft ausgestellt).
Durch die Nachkriegsstadtplanung ist St. Michaelis großräumig freigestellt worden:
Von Süden her wurde ein Grünzug darauf zurückgeführt, nach Norden grenzt der Kirchplatz an die Ost-West-Straße. (…)“
Auszug aus: Hermann Hipp: Freie und Hansestadt Hamburg, Köln, Dumont, 1989