Ziele

Hintergründe und Ziele der Vereinigung

 

Im Jahr 1975 trafen sich 11 Dombaumeister und Bauhüttenmeister zu einer ersten Arbeitstagung in Mainz. Die Vertreter dieser Gründungsversammlung möchte ich hier bewusst in Erinnerung rufen, denn die heutige Vereinigung gründet sich nicht zuletzt auf der Initiative dieser frühen Pioniere. Sie kamen aus Basel (Beck), Frankfurt (Demes), Freiburg (Jakob), Köln (Wolff), Mainz (Stockinger), Passau (Schneider), Regensburg (Triebe), Straßburg (Haeusser), Schwäbisch Gmünd (Hänle), Ulm (Lorenz) und Wien (Stögerer). Von Beginn an war die Tagung sowohl international und überkonfessionell als auch unabhängig von den unterschiedlichen Organisationsformen oder Trägern der Institutionen ausgerichtet. Sie war eine Zusammenkunft von verantwortlichen Personen, nur nebenher und hintergründig auch Vertretung von Institutionen, und so ist es noch heute. Größtes Anliegen der Kollegen war und ist der fachliche Austausch zur Lösung von aktuellen baulichen und restauratorischen Problemen, wie sie alleine aufgrund der schieren Größe und Komplexität, wie auch des Alters unserer Kathedralen und Großkirchen an anderen Denkmalobjekten nicht oder nur sehr eingeschränkt vorkommen. So war und ist man auf der Suche nach ausgereiften und nachhaltigen Lösungen angewiesen auf die kollegiale Bereitschaft zu konstruktiver Kritik, wohlgemeintem Rat und gegenseitiger Unterstützung im Rahmen der gesammelten Erfahrungen und Kompetenzen aller Teilnehmer.

 

Der Erfolg dieser ersten Versammlung war für die Beteiligten so fruchtbar und überzeugend, dass man sich fortan einmal jährlich an immer wechselnden Orten treffen wollte und dies auch in die Tat umsetzte (Vgl. die Chronik der Vereinigung). Dabei kamen bei jedem der Treffen neue Interessenten hinzu, so dass sich der Teilnehmerkreis der sogenannten ‚Dombaumeistertagung‘ von Jahr zu Jahr erweiterte. Doch im Lauf der Zeit kamen auch mehr und mehr Firmenvertreter zu diesen offenen Treffen, deren Anliegen nur mittelbar die Erhaltung der Bauwerke war. Vielmehr ging es einigen dieser Teilnehmer um die Akquise oft lukrativer, vor allem aber prestigeträchtiger Aufträge. Diese ungewollte Eigendynamik der Entwicklung führte aufgrund der ständig zunehmenden Teilnehmerzahlen der Versammlung zu organisatorischen Schwierigkeiten und vor allem dazu, dass inhaltlich nicht mehr frei und rückhaltlos unter Gleichgesinnten diskutiert werden konnte. Zunehmend entwickelte sich die Tagung zu einer Art Messe und zu einem Treffen, bei dem nicht die Diskussion fachlicher Probleme an erster Stelle stand, sondern nicht selten architektur- und kunsthistorische Betrachtungen den größten Raum einnahmen.

 

In der Konsequenz dieser Entwicklung wurde nach intensiven Beratungen im Rahmen der Dombaumeistertagung 1998 in Köln beschlossen, eine Vereinigung mit satzungsmäßig festgelegten Bestimmungen zu gründen. Die 44 anwesenden Dombaumeister, Münsterbaumeister und Bauhüttenmeister haben dies nach einer entsprechenden Urabstimmung mit ihrer Unterschrift bestätigt.

 

Wie von den Gründervätern im Jahr 1975 angelegt, findet die Tagung auch heute einmal jährlich am Ort eines Domes oder Münsters statt. Das Programm beinhaltet regelmäßig Themen, die dem Kennenlernen des jeweiligen Bauwerks, seiner Geschichte und seiner Besonderheiten dienen. Daneben stehen der fachliche Austausch und die Diskussion über bereits getätigte oder noch erforderliche Erhaltungsmaßnahmen vor Ort. Diskussionsstoff bieten immer auch notwendige Eingriffe, die sich nicht wirklich mit der historischen Bausubtanz vertragen, jedoch aus den zeitgemäßen Nutzungsanforderungen oder aus der aktuellen Gesetzgebung resultieren, etwa im Zusammenhang mit den geltenden Bestimmungen zum baulichen Brandschutz oder zu den eigentlich erforderlichen Flucht- und Rettungswegen. Regelmäßig stehen die so genannten Werkstattberichte auf dem Programm, bei denen die Kolleginnen und Kollegen der Vereinigung von aktuellen Maßnahmen an den von ihnen betreuten Kathedralen und Großkirchen berichten, sowie Sonderthemen oder spezielle Workshops. Das Treffen der Bauverantwortlichen der Kathedralen und Großkirchen Europas an einem bestimmten Ort dient nicht selten auch dazu, die politische oder gesellschaftliche Akzeptanz der notwendigen Erhaltung und des Schutzes dieser herausragenden Zeugnisse unseres gemeinsamen kulturellen Erbes zu fördern. Und schließlich ist auch der gesellschaftliche Aspekt ein nicht zu unterschätzender: Das jährliche Treffen Gleichgesinnter in einem vereinten Europa hat nicht wenige Freundschaften, fachliche Kooperationen und die Bildung eines ständig sich erweiternden europäischen Netzwerks befördert.

 

Zurzeit sind es rund 150 Mitglieder aus 17 europäischen Nationen, die zusammenkommen, um sich auszutauschen, voneinander zu lernen und die bestehenden Verbindungen zu pflegen. Den in der Satzung der Vereinigung festgelegten Zielen entsprechend wollen wir uns um den Erhalt und die Pflege der großen Kirchen und Kathedralen bemühen. Daneben jedoch auch um die Bewahrung und Fortführung des immateriellen kulturellen Erbes, der vielfach bereits in Vergessenheit geratenen handwerklichen Traditionen. Ohne die Bewahrung der originären Handwerkskunst ist die adäquate Erhaltung der Bauwerke, die auf der Grundlage hoch entwickelter Handwerkskunst entstanden sind, nur sehr bedingt möglich. Schließlich geht es der Vereinigung auch darum, in der Öffentlichkeit und auf politischer Ebene für Verständnis zu werben um die auch gesellschaftliche Notwendigkeit, unser gemeinsames kulturelles Erbe – das materielle wie das immaterielle – zu schützen, zu pflegen und für die Zukunft zu bewahren.

 

Was uns mit den Baumeistern der Kathedralen verbindet, ist nicht nur die Arbeit am gleichen Werk. Was uns verbindet und gleichwie unsere Vorgänger unter veränderten Rahmenbedingungen betrifft, ist an erster Stelle der Respekt vor dem Werk. Andererseits die Herausforderung, auf der Grundlage einer seit Jahrhunderten nahezu unveränderten handwerklichen Tradition mit modernsten technischen Methoden und den neuesten Erkenntnissen und Entwicklungen der modernen Wissenschaften umzugehen, um sie schonend und vorausschauend in die Palette der technischen Möglichkeiten zu integrieren. Nicht anders als etwa im Mittelalter müssen auch in der heutigen Praxis der Erhaltungsarbeiten oft neue Methoden für die Lösung bestimmter Problemstellungen zunächst einmal entwickelt werden. Dies geschieht nicht selten experimentell auf der Grundlage praktischer Erfahrungen in den Bauhütten selbst, immer öfter aber auch im Rahmen international und interdisziplinär besetzter wissenschaftlicher Forschungsprojekte, in denen die Mitglieder der Vereinigung nicht selten federführend mitwirken. Was uns mit unseren Vorgängern auch verbindet, ist die Tatsache, dass wir uns zum offenen Erfahrungsaustausch treffen, denn solche Treffen der Baumeister auf aus heutiger Sicht europäischer Ebene hat es auch im Mittelalter bereits gegeben. Erinnert sei hier nur an den „Regensburger Hüttentag“ von 1459, an dem die wichtigsten Baumeister aus dem gesamten damaligen Reichsgebiet teilnahmen, um sich unter anderem über berufsethische Fragen abzustimmen.

 

So verbinden sich in der Europäischen Vereinigung der Dombaumeister, Münsterbaumeister und Bauhüttenmeister unserer Tage Geschichte und bewusst gelebte Tradition mit ausgeprägter moderner Wissenschaftlichkeit in einem wirksamen europäischen Miteinander – in einem wirklich gelebten Europa zum Wohl unseres gemeinsamen kulturellen Erbes. Nicht zuletzt dieses Miteinander wollen wir bewahren und mit dem Blick in die Zukunft weiter entwickeln.

 

Dr. Michael Hauck M.A.